Eine digitale Auszeit tut auch mal gut. Zwar gab es einen Anlass für die Reise, doch dazu erfolgt noch ein separater Bericht. Hier konzentriere ich mich auf unsere privaten Beobachtungen und Erfahrungen auf unserer Kalifornienreise in der zweiten Oktoberhälfte 2022. Hauptsächlich nach San Francisco, anschließend noch südlich nach Monterey.
Airbnb-Kofferanhänger
nicht-digitale Kommunikation
Das Besondere an San Francisco ist neben der Topographie (die im Quadratmuster angelegten Straßen gehen wegen der vielen Hügel laufend steil rauf oder runter), die kulturelle Vielfalt. Einwanderer und Angehörige von Minderheitsgruppen und werden nicht ausgegrenzt, sondern finden eine Vielzahl von Kneipen, Buchläden und spezialisierten Einrichtungen vor. Im Stadtteil Castro als Beispiel sind die Zebrastreifen regenbogenfarbig:
Regenbogen-Zebrastreifen
Im Vergleich zu meiner letzten Reise vor 5 Jahren empfinde ich jedoch, dass das soziale Klima rauer geworden ist.
Das drückt sich z.B. im täglichen Umgangston aus: Während die US-Amerikaner eigentlich bekannt sind für ihre Höflichkeit (sich laufend für was entschuldigen, Schlange stehen, umständliche Redewendungen), wird man doch öfters mal angeraunzt (“Get out of my way“ wenn man an der Zapfsäule nicht klarkommt; “excuse me“ dient jetzt eher als „Platz da“ etc.).
Die soziale Schere geht weiter auseinander: Da steigen hochgestylte Leute aus dicken SUVs aus, während auf dem Gehweg Obdachlose wohnen; nur die besser gestellten unter ihnen haben ein Zelt. Rein von den Zahlen her trifft es auch nicht mehr als in Stuttgart (ca. 1 Promille), dennoch ist das Gesamterscheinungsbild anders.
Zelten auf dem Gehweg verboten
Als Ursache speziell in Kalifornien sind auch die exorbitant gestiegenen Preise zu sehen: Ich habe das Gefühl, viele haben sich seit 2017 verdoppelt. Aus Kostengründen haben wir uns gern unser Sushi-Bento im Supermarkt besorgt.
Manche Menschen können sich ihre Wohnungen/Häuser nicht mehr leisten, verkaufen sie und hausen auf Booten oder Campingplätzen, oder sie ziehen ganz weg. Sein Nummernschild sollte man als Neuankömmling dann möglichst rasch wechseln, denn aus Wut auf die vielen Neuzuzüge, die die Wohnungspreise wiederum in die Höhe treiben, wird einem sonst gern das Auto zerkratzt.
Ernährungsphysiologisch gibt es noch Luft nach oben. Zucker ist heilig. Normale europäische Kleidergrößen werden als Petite bezeichnet.
absolut nährwertfrei

Supermarkt
Diese preiswerten deutschen Weine waren die absolute Ausnahme – sonst bewegen sich die Preise eher bei 15 bis 20 USD:

Ich benutze gern öffentliche Verkehrsmittel. Und betrachte dies als gratis Stadtführung mit authentischem Einblick in die Gesellschaft, sowie als meinen persönlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit. In San Francisco klappt das auch prima. Während andere auf dem Heimweg vom Restaurant auf der Straße rumstehen, auf ihr Handy schauen und auf das bestellte Uber warten, hüpfe ich in den nächsten Bus oder in die Cable Car. Dennoch haben wir auch vom Uber-Angebot Gebrauch gemacht. Taxis sieht man kaum noch, und die Ubers kosten ganz schön. Leider sind dabei auch die Flexibilität und gelegentlich auch die Freundlichkeit der Fahrer auf der Strecke geblieben: die Uber-Fahrer scheinen unter einem ständigen Optimierungsdruck zu stehen.
Uber
Cable Car
Trolley-Bus
Metro
Tram in Google Maps
Wir kamen übrigens recht oft mit deutschen Einwanderern oder deren Nachfahren in Kontakt. Der Eigentümer des Liquor Stores verkaufte uns nicht nur leckeres 805-Bier, sondern erzählte uns auch, dass er in Würzburg geboren wurde und in Stuttgart zur Schule ging!
Reiseerfahrung #1: Letzte Fähre verpasst.
Weil wir den Fahrplan nicht richtig gelesen hatten, suchten und fanden wir im gefühlten Nirgendwo durch glückliche Umstände unser erstes Uber und drückten dem Fahrer (Exil-Afghane) 100 USD in die Hand. Geringfügig teurer als der Zubringerbus, der uns zuvor eine Stunde für 1,80 USD durch die Gegend gegondelt hatte.
Busstation auf dem Lande
Reiseerfahrung #2: Senioren werden geschätzt.
Ungefragt wurde uns bei der Parkeinfahrt der Seniorenpreis gewährt. Eher ein symbolischer Nachlass von 1 USD auf den regulären Preis von 10 USD:
Seniorenticket
Reiseerfahrung #3: Fremde Kennzeichen werden nicht geschätzt.
Auf einem kalifornischen Parkplatz hatten wir offenbar Probleme, das Colorado-Kennzeichen unseres Mietwagens richtig in die papierlose Maschine einzutippen. Als Ergebnis habe ich jetzt einen Online-Einspruch gegen den Strafzettel eingelegt.
Ticket
Auszeit als Gastgeber
Unser Inserat hatte ich für die Zeit unserer Abwesenheit pausiert. Ich wollte etwas Ruhe, nicht permanent erreichbar sein und schnell reagieren müssen.
Es gibt zwar Auslands-Datenpakete (z.B. Congstar USA: 1 GB 1 Woche für 30 €). Wenn man es nicht übertreibt, reicht das auch. Es haben sich aber Unterschiede bezüglich der technischen Handy-Kompatibilität herausgestellt: Während sich Juttas Galaxy S20FE meist in 4G eingeloggt hat, dümpelte mein Galaxy A40 meist im Edge-Netz herum (ja, das funktioniert in USA noch). Und so habe ich die Auszeit genossen.
Congstar
Reiseerfahrung #4: Inserat gelöscht.
Man sollte in Jetlag-Nächten nicht versuchen, am Handy das Inserat zu pausieren. Ein Pfotendruck genügt, um das Inserat ohne weitere Sicherheitsabfrage dauerhaft ins Nirwana zu befördern. Gemein: Deaktivieren hat auf dem Desktop eine andere Bedeutung als am Handy!
Zu meinem Glück konnte ich den Fall beim Support gleich eskalieren, und nach 30 Minuten war unser Inserat wieder hergestellt. Aber da merkte ich, was mir gefehlt hätte: Ich hab zwar von den Inhalten immer eine lokale Kopie, aber 12-jähriges Gastgeben inkl. Bewertungen einfach so löschen?
Support
Austausch
Selbst Gastgeber, konnte ich natürlich nicht umhin, mich mit den gebuchten Kolleg*innen übers Gastgeben auszutauschen. Interessant zu hören, welche lokalen Interessenslagen es gibt, und welche Lösungsmöglichkeiten diskutiert werden.
Good Neighbor Information
Lage & Umgebung
Ich muss zugeben: Nicht alle Unterkünfte waren Airbnbs. Über eine Preisvergleichsplattform fanden wir ein Angebot eines deutschen Veranstalters: Vollservice-Hotel (mit Rezeption und Gepäckaufbewahrung, unser Kriterium), ohne Frühstück und ohne Rücktrittsrecht, für einen erschwinglichen Preis.
Super zentral gelegen, ein paar Schritte zur Market Street und zur Metro / Tram. Von daher würde ich die Lage bei Airbnb mit 5 Sternen bewerten.
Aber was ist mit der Umgebung, nach der bei manchen Formulierungen ja in Kombination mit der Lage explizit gefragt wird?
Lage-Umgebung
Wie oben beschrieben, ist das Obdachlosenproblem in San Francisco nicht zu übersehen. Das Hotel befindet sich am Civic Center direkt gegenüber der Tenderloin Neighbourhood. Die Berichte von Reisenden sprechen für sich, und die Situation hat sich seit unserem letzten Besuch nicht gebessert und lässt sich offensichtlich nur durch abendliche starke Polizeipräsenz einigermaßen beherrschen.
Wie bewertet man jetzt Lage & Umgebung? Wir wussten bei Buchung klar, was uns dort erwartet und waren glücklich über die klasse Lage. Aber die Umgebung mit 5 Sternen bewerten, wenn es eine keine Möglichkeit der Differenzierung gibt? Alleinreisende beispielsweise könnten damit ein Problem haben. Andererseits: Wer das Elend nicht ertragen kann, darf einfach nicht nach San Francisco reisen.
So ähnlich stelle ich mir das Dilemma bei der Airbnb-Lagebewertung auch vor: Die Lage auf dem Stadtplan kann man ja vorher einschätzen. Aber die die Umgebungssituation ist, sieht man erst vor Ort. Oder man beschreibt sie ehrlich im Inserat.
Rolle als Reisender
Ich find‘s gut und wichtig, immer mal wieder in die Rolle der Reisenden zu schlüpfen. Einfach um zwischendurch aus der Perspektive des Gastes die relevanten angenehmen und lästigen Punkte zu identifizieren:
Wie wichtig die letzten Meter doch sind! Eine Wegbeschreibung mit der exakten Adresse ist notwendig, aber nicht unbedingt ausreichend. Sehr gut fanden wir, wenn die Gastgebenden uns kurz vor Check-in Fotos zum Eingang der Unterkunft schickten mit Instruktionen zum Schlüssel oder Codeschloss.
Wegbeschreibung
Apropos Codeschloss: Ist ja nett, wenn der Channelmanager, oder was auch immer einen individuellen Code generiert, der auch funktionieren würde! Zum Glück gab es in San Francisco eine Klingel zum Gastgeber, der im selben Haus wohnte, zufällig auch anwesend warund sich selbst überzeugen konnte, dass der Code nicht stimmte. Hat meine Begeisterung für den Self-Checkin mit Codeschlössern nicht unbedingt vergrößert.
Dieses Codeschloss hat wohl ausgedient:

In den USA werden offenbar gern Kameras eingesetzt. Und zwar nicht nur im Außenbereich, sondern auch in gemeinsam benutzten Innenräumen. Im Inserat wurde klar darauf hingewiesen, und so haben wir das akzeptiert. Durch die Position der Kamera kann man auch ungefähr abschätzen, was sie sehen kann. Nicht aber, was sie hören kann. 😞
Kamera in der Küche
Erfreulich fanden wir die Tatsache, dass wir uns diesmal ausnahmslos nicht auf die Suche nach Toilettenpapier begeben mussten; dies war jeweils ausreichend vorhanden.
Auch schön: immer gab‘s was zu essen, als Selbstbedienung, Obst, Cerealien, Kaffee, Tee, Wasser, Milch. Ohne Frühstück kann ich das Haus nicht verlassen. Mehr Service als im Hotel!
Verbesserungsfähig hingegen fanden wir oft die Beleuchtungssituation: Gerne hätten wir besseres Licht gehabt. Durch Umstellung von den (in den USA noch oft gebräuchlichen) Glühlampen zu LEDs wäre das auch kein Luxus.
Überall findet man Klimaanlagen, und geheizt wird weniger, und als Gast ist man morgens an den einfachen Heizlüftern froh – denn die Temperaturen am Pazifik sind sehr gemäßigt!
Lästig fanden wir das amerikanische Duschsystem: Man kann zwar stufenlos die Temperatur einstellen – nicht aber die Wassermenge! Da gäbe es noch Einsparpotential. Und die unbeweglich an der Wand installierte Brause hat auch so ihre Tücken.
Bei der HighTech-Toilette fand ich mich sofort an @Veronica-and-Richard0 erinnert. Aber eine Anleitung für Gäste wäre nützlich gewesen! Befremdlich, wenn bei jeder Bewegung im Bad von alleine der Klodeckel aufklappt. Irgendwie passend zu Halloween.
WC-Fernbedienung, an der Wand befestigt
Angenehm fand ich, dass als Duschalternative oft kleine Tücher angeboten wurden. Manchmal genügt vielleicht ja auch mal feudeln, bevor man sich unter die Niagara-Dusche stellt. Werde ich mir für unser Gästebad auch überlegen. Aus den kleinen Tüchern lässt sich Schminke im gegebenen Fall vielleicht auch mal besser ausbleichen.
Manche Unterkünfte waren vorbildlich mit Steckdosen an den richtigen Stellen bestückt, idealerweise gleich mit USB-Anschlüssen zum Laden. Bei anderen war ich froh am mitgebrachten eigenen Verlängerungskabel und an meinen Ladegeräten. Geht mal in eure eigenen Gästezimmer und überlegt euch, wo ihr idealerweise euer Laptop zum Arbeiten hinstellen würdet oder das Handy aufladen möchtet! Da gibt’s so einfache Lösungen.
Reiseerfahrung #5: Erdbeben
Was wäre Kalifornien ohne ein Erdbeben! Natürlich gab es das auch:

Wusstet ihr übrigens, dass das wellenförmige Dach auf den Haltestellen-Häuschen eine auslaufende Erdbebenwelle symbolisiert?
Haltestellendach
Halloween
Der Halloween-Brauch ist in den USA unübersehbar ausgeprägt. In den Supermärkten finden sich viele spezielle Produkte (natürlich mit viel Zucker). Die Vorgärten und Promenaden sind aufwändig geschmückt:
Man beachte den Hund!
Vorgarten

Großzügigkeit der Natur
Was auf alle USA-Reisenden wahrscheinlich den größten Eindruck machen dürfte, ist die Großzügigkeit der Natur! Angenehm finde ich in diesem Zusammenhang die gute Erschließung durch Parks und gut ausgeschilderte Wanderwege. Was aber außerhalb von San Francisco einen Mietwagen voraussetzt.
Im Hintergrund die Bridge im Nebel
Küste
riesengroßes Kelp
Red Woods
[Unless stated otherwise, my comments are based on my personal Airbnb hosting and travelling experiences.]