Schlechtes Gewissen als Reisender in Venedig und Barcelona?

Till-and-Jutta0
Host Advisory Board Alumni
Stuttgart, Germany

Schlechtes Gewissen als Reisender in Venedig und Barcelona?

Venedig und Barcelona gehören zu meinen Lieblings-Reisezielen, und ich war bereits öfters dort, schon als kleiner Knabe mit meinen Eltern. Aber nicht nur ich, denn die beiden Städte stehen hoch in der Gunst der Touristen. Höher als Bielefeld. Zuletzt in Venedig, zusammen mit einer unserer ersten Privatzimmer-Gastgeber, denen wir als „Halb-Insider“ Venedig zeigen konnten. Dort bot sich eine Ferienwohnung auf der Insel La Giudecca an, in der wir nach unseren Erkundungen sehr schöne Abende verbrachten. Definitiv eine andere, intimere Atmosphäre als in einem Hotel.

Und dann stoße ich auf solche Berichte, in denen eine Stadt Barcelona sagt „Wir wollen nicht wie Venedig werden“, den Bau neuer Hotels verbietet und die private Vermietung einschränkt. Und einen Warnschuss in Höhe von 600.000 € Strafe auf Airbnb abfeuert.

Herrschaftszeiten, was kann ich dafür, dass die Städte so schön sind? Und ich mit meinem Rollkoffer vom Boot zur Unterkunft rattere? Jetzt mach ich mir schon Gedanken, ob ICH ein schlechtes Gewissen haben soll, und nächst Mal nicht doch nach Bielefeld fahre? Was kann ICH denn für die Wohnungsnot? Das Leben der Zukunft spielt sich nun mal in den Städten ab – soll auch energetisch, transporttechnisch und ökologisch um einiges nachhaltiger sein als die Zersiedelung auf dem Lande (hab ich mir von Experten sagen lassen). Dann muss man halt dort den entsprechenden Wohnraum schaffen, und nicht immer nur auf den privaten Vermietern und auf Airbnb rumhacken!

26 Antworten 26
Monika--Elisabeth0
Level 10
Vienna, Austria

@Till-and-Jutta0, manchmal kann ich solche Berichte - zumindest in einigen Bereichen schon auch verstehen. Wenn ich im Sommer am Stephansplatz i. Wien nahezu Platzangst bekomme, U-Bahn Passagen morgens nach Urin stinken, leere McDonalds Tüten herumliegen.....  der Gast reist ab und das wars dann. Damit leben müssen die Bewohner ( wobei ich mir schon bewusst bin, dass die Gäste nicht allein dafür verantwortlich sind).

Was Vermietung anlangt. Mietpreise  im Altbau (auch im renovierten) sind bei uns gedeckelt. Immer mehr Dauermieter klagen ihre Vermieter und bekommen ganz schön Geld zurück. Da ist es naheliegend dass viele Eigentümer dann zu Kurzzeitvermietungen greifen.  Und dadurch entsteht halt auch ein Engpass für Wohnungssuchende.  Das wird wohl in anderen Städten ähnlich sein. 

Thomas--Miriam0
Level 5
Bielefeld, Germany

@Till-and-Jutta0 @Monika--Elisabeth0

Also Rollkoffer in Barcelona nerven sogar mich, wenn ich damit selber durch schöne Stadt rollere 🙂 (Liegt wohl am Pflaster, das klackert wirklich wie blöd) aber ansonsten ist das eben so. You can´t have the cake and eat it sagen die Engländer- wer in einer Stadt wohnt, die auch für Touristen interessant ist, der hat eben auch Touristen da. Ich habe in mehreren touristisch beliebten Städten gewohnt, es genossen und gehasst. Nun wohne ich in Bielefeld :-)) Was im Übrigen nicht so schlimm ist wie man annehmen sollte, aber das verraten die Bielefelder nicht, so bleibt man von Rollkoffern und Touristen verschont 😉 

@Thomas--Miriam0 Bielefeld-Connection! Teuto, Ossi und Gedöns!

 

Bei dieser Diskussion muss man so schrecklich viel entwirren und trotzdem hat nachher jeder Faden zwei Enden. 

Man muss sich immer fragen, welcher Wohnraum wird denn gebraucht? Und ist der grundsätzlich vorhanden? Wenn ja, alles knorke. Das Problem ist aber, dass dieser Wohnraum meist schon von Anfang an nicht in der benötigten Menge da war. Das heißt, Wohnraum wird teurer. Je teurer der Wohnraum wird, desto weniger möglich ist es, ihn auch bezahlbar zu halten. Besonders für einen Privatmenschen. Klar kann man sich fragen, wie viele Wohnungen denn jemand so durchschnittlich haben muss. Aber die unterschiedlichen Lebensbedingungen sind halt unterschiedlich. 

Das löst das Problem aber immer noch nicht, das einfach nicht genügend Wohnraum da ist. Dann muss man also irgendetwas dagegen unternehmen und weil Wohnraum so schrecklich teuer ist, etwas, was am besten gar nicht erst Geld kostet.

Als werden zwei verschiedene Bedürfnislagen gegeneinander ausgespielt, auf juristischem Wege - denn der Staatsapparat ist eh schon da und muss nicht erst aufgebaut werden, im Gegensatz zu einem Haus.

 

Ich finde, wenn man kurzzeitvermietet, dann muss es sowas wie eine Selbstverpflichtung gegen den Leerstand geben. Das ist aber auch die einzige Forderung, die ich diesbezüglich habe.

Till-and-Jutta0
Host Advisory Board Alumni
Stuttgart, Germany

Und wehe ich reise nach Thailand: Dort drohen Hausbesitzer mit großen Tafeln den Airbnb-Gästen mit Strafverfolgung.

@Till&Jutta

Oh Mann, das schreckt aber wirklich ab! Was ist denn nur los auf der Welt?

Till-and-Jutta0
Host Advisory Board Alumni
Stuttgart, Germany

Und wieder werden Airbnb-Gäste vergrault, diesmal in Frankfurt. "Dann kann es sein, dass Sie frühzeitig ihren Urlaub beenden müssen", sagt der Dezernent von der Bauaufsicht.

Till-and-Jutta0
Host Advisory Board Alumni
Stuttgart, Germany

Eine differenziertere Betrachtung liefert Bernd Jogalla im Mallorca Magazin und stellt die Frage Ist die private Ferienvermietung wirklich an allem schuld?

Sowie ein provokanter Film in Arte 18.4.2017 um 20:15: Tourist Go Home! Und am selben Themenabend anschließend: Zusammengebrochener Wirtschaftszweig Tourismus in den Krisengebieten.
Wer kann jetzt was wofür?

Ilona18
Level 10
Torremolinos, Spain

Hat jemand den TV-Beitrag auf ARTE gesehen? Ich hatte es eigentlich vor, aber sehr nette Gäste von mir (Mutter und Tochter) haben mich überredet zu einem Karaoke-Abend zu gehen, da die Tochter unbedingt singen wollte. (Sie war übrigens toll!)

Hier in Torremolinos fängt es auch langsam an zu brodeln. In den Jahren 2013, 2014, und 2015 haben alle gejammert wegen Einbußen auf Grund der spanischen Krise. Dann 2016 hat es extrem geboomt, und für 2017 sieht es auch sehr sehr gut aus, da keiner mehr in die arabischen Länder und die Türkei  will. Jetzt beschweren sich viele Anwohner über die Menschenmassen in den Straßen und am Strand und über die gestiegenen Preise.

 

saludos, Ilona.

Till-and-Jutta0
Host Advisory Board Alumni
Stuttgart, Germany

@Ilona18, den Beitrag kann man in der ARTE Mediathek nachschauen. Ich glaube, @Florian-and-Theresa0 hat ihn gesehen.

Du beschreibst das Dilemma in den Urlaubsregionen passend: Zu wenig ist nix, zu viel ist nix. Schwierig, es allen recht zu machen.

@Ilona18 Jupp, ich habe den Bericht gesehen und fand ihn ziemlich treffend. Wie man es von Arte erwarten durfte, war es nicht schwarz-weiß. Der Tenor war, dass die heutige Problematik das Ergebnis einer Politik ist, die auf Massentourismus und Privatisierung gesetzt hat, dabei aber den sozialen Wohnungsbau vernachlässigt hat. 

Und nicht zu vergessen die Korruption. In Spanien gibt es eigentlich keine Mietwohnungen. Ein Wohnblock wird gebaut und dann werden die einzelnen Wohnungen als Eigentumswohnungen vom Bauträger verkauft. Zur Miete findet man nur etwas, wenn z.B. jemand eine Wohnung erbt und er sie momentan nicht nutzen will, oder wenn jemand sein Geld in Immobilien anlegt und sie vermietet.

Ab und zu kommen die Politiker auf die glorreiche Idee mit staatlichen Subventionen Wohnblocks errichten zu lassen und diese dann an finanziell schwache Familien mit vielen Kindern billig zu verkaufen, mit geringen Hypotheken. Aber was passiert dann? Familienangehörige dieser Politiker schaffen es irgendwie das strenge Auswahlverfahren zu umgehen, kaufen einen Großteil dieser subventionierten Wohnungen, warten ein bis zwei Jahre - und verkaufen sie dann auf dem freien Markt für das dreifache des Einkaufspreises.

Der Mindestlohn beträgt in Spanien 680,-€ im Monat. Kaum jemand verdient mehr als 1.000,-€ im Monat. In Torremolinos liegen die Mieten für ein Studio (ein Zimmer, winzige Küche, Bad) bei 400,-€ pro Monat im Winter. Im Juni und September kostet das selbe Studio 400,-€ pro WOCHE und im Juli und August 650,€ pro WOCHE.

Wie soll ein normaler Arbeitnehmer (der übrigens meist nur einen Arbeitsvertrag für 3-4 Monate erhält), das bezahlen??? Ich habe volles Verständnis dafür, dass die Einheimischen auf die Barrikaden gehen.

 

saludos, Ilona.

 

Till-and-Jutta0
Host Advisory Board Alumni
Stuttgart, Germany

"Die Stadt [Barcelona] vergibt außerdem in der Altstadt keine neuen Lizenzen mehr für Hotels und Ferienwohnungen: Doch viele, die legal an Touristen vermieten, fühlen sich durch die momentane Kritik kriminalisiert." Und werden als Gegenbewegung zur Gegenbewegung aktiv: https://www.facebook.com/proviviendasturisticas/

Ilona18
Level 10
Torremolinos, Spain

Ich hatte jetzt endlich Zeit mir den Beitrag in der ARTE Mediathek anzuschauen. Diese Unmengen von Menschen, die aus den Kreuzfahrtschiffen für wenige Stunden an Land kommen, lassen den Einheimischen kein Geld da. Verdienen tun nur die Großkonzerne, die die privatisierten Häfen betreiben. Genauso ist es mit den vielen All-inclusiv-Hotels. Aber die Menschen, die private Unterkünfte buchen, lassen in der Regel viel Geld in den Supermärkten, Bars, Restaurants und Geschäften. Die Einheimischen bekommen also auch ein kleines Stück von großen Tourismuskuchen.

Trotzdem finde ich es bedenklich, wenn in einigen Altstädten die Zahl der teuren Ferienwohnungen höher ist als die der normalen Wohnungen. Die vielen Kellner und Zimmermädchen mit ihren Minilöhnen müssen doch auch irgendwo wohnen können.

Ich hatte mir auch schon überlegt - aus Solidarität und weil mir der ständige Gästewechsel langsam zu viel Arbeit wird - aus der touristischen Vermietung auszusteigen. Aber dann habe ich das Problem, dass die Menschen mit ihren befristeten Arbeitsverträgen nach der Saison ihre Miete nicht mehr bezahlen können.

Ein winziges Arbeitslosengeld wird nach 3 Jahren Arbeit nur für 6 Monate ausgezahlt. Sozialhilfe, Harz4, Wohngeld oder Kindergeld gibt es in Spanien nicht. Dann kann es passieren, dass die Mieter auf der Suche nach Arbeit weiterziehen und die Wohnung so verlassen wie bei einem Nachbarn von mir:

 

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saludos, Ilona.

 

 

@Ilona18 Ich finde Deine Einblicke in die spanische Realität immer wieder sehr aufschlussreich und spannend.

 

Und ja, genau das ist auch einer meiner Gedanken: Die Gäste aus den Privatunterkünften sind (meist) dezentral.

Schwierig wird es halt wieder genau an dem Punkt, an dem aus der Privatunterkunft ein Geschäft wird. Weil das Benehmen einiger Touristen wirklich schwierig zu sein scheint, bin ich ein großer Anhänger des Homesharing in dem Sinne, dass man mit seinen Gästen unter einem Dach wohnt. Da hat man eine viel größere Handhabe, falls wirklich mal etwas schief laufen sollte. Außerdem würde das Homesharing auch eine "natürliche" Begrenzung der Anzahl von Privatunterkünften mit sich bringen. 

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